Date: Apr 26, 2024

Medienfassaden: Grundbegriffe und Merkmale

Autor: Dr. Gernot Tscherteu
Recherche: DI Wolfgang Leeb

Medienfassaden schaffen völlig neuartige Berührungspunkte zwischen digitalen Räumen einerseits und Architektur und städtischen Räumen andererseits. Noch nie war eine Schnittstelle zwischen der physischen und der digitalen Welt so öffentlich, dass sie nicht nur wie beim PC einzelne Nutzer anspricht, sondern ganze Gruppen und teilweise sogar eine ganze Stadtbevölkerung und auch Möglichkeiten vorsieht „zurückzusprechen”, also mit dem Inhalt einer Fassade zu interagieren bzw. ihn selbst zu gestalten. Es entsteht damit ein mächtiges Potential an Gestaltungs- und Wirkungsmöglichkeiten, mit einer Reihe von Chancen und Risiken, die wir noch nicht richtig abschätzen können und die einer intensiven Auseinandersetzung bedürfen. Sowohl die Produzenten als auch die Konsumenten von Medienfassaden stehen vor einer Reihe von Herausforderungen und es wird wohl noch einige Zeit dauern bis es in dem gerade entstehenden Diskurs zu ausdifferenzierten Meinungen und Positionen kommt.

Diese Ausstellung wurde so konzipiert, dass sie diesen notwendigen Diskurs unterstützt, indem sie relevante Projekte sammelt, hinter die „Fassaden” blickt, sowie ihre Materialität und technische Struktur sichtbar macht. Zweifelsohne wird ein besseres technisches Verständnis hilfreich sein, um eine differenzierte Einstellung zu Medienfassaden zu entwickeln. Wie der folgende Einführungstext zeigen soll gibt es eine Reihe technischer Merkmale, die wesentlichen Einfluss auf das visuelle Erlebnis, aber auch auf die Interaktivität und den „urbanen Wert” einer Medienarchitektur haben.

Medienfassaden entziehen sich einer Einteilung in einander ausschließende Klassen. Es erscheint vielmehr sinnvoll die wichtigsten Merkmale (Displaytechnologie, Transluzenz, Interaktion,…) zu diskutieren und zu zeigen, dass die einzelnen in der Ausstellung gezeigten Projekte zwar allesamt auf ähnlichen Gestaltungselementen aufbauen, diese aber höchst unterschiedlich interpretieren und variieren. Eine Medienfassade wird im untenstehenden Diagramm also nicht nur an einem einzigen Ort eingeordnet werden können, sondern sie wird in Bezug zu jedem dieser Merkmale eine Position einnehmen. Die genannten Medienfassaden sind lediglich gute Beispiele für das betreffende Merkmal, aber natürlich weisen sie auch noch andere Merkmale auf und wären eventuell auch dort gute Beispiele. Es geht hier auch nicht darum Medienfassaden und Medienarchitekturen in Schubladen stecken zu können, sondern ein Begriffsinstrumentarium zur Hand zu haben, um sie besser vergleichen und diskutieren zu können.

Nicht unerwähnt möchte ich frühere Versuche von Einteilungen und Begriffsklärungen lassen, die hier teilweise Eingang gefunden haben. Sie sind in den Quellen angeführt.

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Display Technologie

Der Umgang mit Licht bietet für eine technologische Betrachtung den besten Ansatzpunkt: Strahlt die Fassade aktiv Licht aus oder erzeugt sie Bilder durch die mechanische Bewegung an der Gebäudeoberfläche? Natürlich arbeiten kinetische und sogar statische Medienfassaden mit Licht – nur eben auf passive Weise. Sie nutzen das Sonnen- oder Umgebungslicht und modulieren dieses, um Oberflächeneffekte und Bildinformationen zu erzeugen. Gute Beispiele dafür sind die Projekte Flare oder Daisyworld.

Es gibt eine Reihe von Technologien für die Erzeugung von Licht auf Medienfassaden (LED, Fluoreszenz,…), ebenso gibt es unterschiedliche Methoden um mechanische Teile zu bewegen: von Druckluft, über Servomotoren, bis hin zur einfachen Nutzung von Windenergie.

Einen Sonderfall stellen Projektionsfassaden dar: Sie erzeugen das Licht nicht selbst. Die Gebäudeoberfläche wird als Projektionsfläche verwendet. Projiziert wird entweder von außen auf die Gebäudefront oder von innen auf transluzente Flächen (meist Fenster), die somit zu Bildschirmen umfunktioniert werden. In der Ausstellung haben wir von Projektionsfassaden abgesehen – hauptsächlich deshalb, weil es uns um die nahtlose Integration des Displays in die Architektur geht und eine Projektion dem nur in Ausnahmefällen gerecht wird. Natürlich ist diese Sichtweise sehr subjektiv und angreifbar.

Bild Eigenschaften

Wie ist das von der Medienfassade erzeugte Bild beschaffen?

Auflösung Aus wie vielen Bildpunkten besteht das Bild? Die Bandbreite ist enorm: Einige Beispiele Blinkenlights 144 Pixels, UNIQA ca. 60.000, Grand Lisboa über 1. Mio Bildpunkte. Mehr Bildpunkte bedeutet nicht unbedingt dass das Bild qualitativ „besser” ist – Gerade Blinkenlights zeigt, wie viel mit wenig Pixeln möglich ist. Sicher ermöglicht aber eine größere Auflösung schärfere und detailreichere Bilder – wenn man sie braucht.

Pixelabstand (pixel pitch) Wie groß sind die Bildpunkte und wie weit sind die Pixel – von ihrem Mittelpunkt gemessen – voneinander entfernt.

Diffusion: Für den Betrachter macht die Größe der einzelne Bildpunkte einen großen Unterschied. Durch Diffusionsflächen ist es möglch auch einige Millimeter kleine Leuchtquellen (z.B. LEDs) in wesntlich größere Pixel zu verwandeln – wie dies beispielsweise beim Galleria Store in Seoul der Fall war. Durch die Diffusion wird die Leuchtkraft einer Lampe zwar auf eine größere Fläche verteilt, dafür aber auch ihre Leuchtdichte reduziert.

Betrachtungsabstand Steht in direkten Zusammenhang mit dem Pixelabstand und der Diffusion, denn je größer der Pixelabstand bzw. der Pixel ist, umso weiter muss man vom Bild entfernt sein um nicht nur einzelne Punkte sondern ein sinnvolles Gesamtbild erkennen zu können. Doch auch aus der Nähe betrachtet, können sich so interessante abstrakte Lichteffekt ergeben.

Helligkeit: Die im Punkt „Display Technologie” genannten Techniken sind höchst unterschiedlich in Bezug auf Helligkeit. Von allen aktiven Displays ist nur LED hell genug um gegen direktes Sonnenlicht zu bestehen. Allerdings nützen auch manche kinetische Fassaden (wie Flare) das Sonnelicht geschickt aus. In der Nacht kann zuviel Helligkeit zu einem Hindernis werden, da es Anwohner und Verkehr beeinträchtigt.

Farbtiefe: Je nach Technologie stehen mehr oder weniger Farben zur Verfügung. Die Reduktion auf wenige Farben (wie bei BIX, SPOTS, Blinkenlights, oder Chanel in Tokyo) kann auch als Stilmittel genutzt werden. LED erlaubt es Farbräume mit mehreren Millionen Farben zu erzeugen.

Integration des Displays in das Gebäude

Integration ist ein zentraler Punkt für die Beurteilung von Medienfassaden – ein entscheidendes Merkmal („differentia specifica”) dafür, ob man etwas als Medienfassade anerkennen kann oder nicht. Ohne Integration wirkt das Display einfach aufgesetzt und bildet eine eigene Bedeutungsebene, die vom Gebäude losgelöst wirkt. Wenn ein Display gut in das Gebäude bzw. seine Fassade integriert wurde, dann verschmelzen beide Ebenen zu etwas neuem – das wir als Medienarchitektur bezeichnen.

Zusätzlich zur konstruktiven Integration kann natürlich auch der Content für das Gebäude maßgeschneidert sein und die Einheit von Gebäude und Display unterstreichen. Da die Integration von Gebäude und Display letztlich nicht nur ein oberflächliches, auf die Fassade beschränktes Merkmal ist, finde ich den Begriff Medienarchitektur in diesem Fall passender und umfassender. Für den Begriff Medienarchitektur spricht:

  1. Die Bespielung kann nicht nur die Fassade sondern auch die Raumbeleuchtung einbeziehen und damit von der Oberfläche in die Gebäudetiefe reichen.
  2. Räumliche und mediale Strukturen überlagern sich, sodass kommunikative Prozesse entstehen können, die sich nicht nur auf der Gebäudeoberfläche sondern auch in seinem Inneren, im öffentlichen Raum rund um das Gebäude und letztlich natürlich auch – räumlich ungebunden – in elektronischen Medien stattfinden können. Der Begriff Architektur kommt dem entgegen, da er auch für nicht räumliche Strukturen und Prozesse offen ist – und genau darum geht es auch bei vielen gelungenen Projekten.

Eine gute Integration kann in manchen Fällen auch dann erreicht werden, wenn das Gebäude schon gebaut ist und die Medienfassade erst danach konzipiert und errichtet wurde (UNIQA ist dafür ein gelungenes Beispiel). In der Regel entstehen gute Medienarchitekturen aber vor allem dann, wenn alle Faktoren, die hier betrachtet werden, schon während der Planung berücksichtigt und zu einem durchgängigen Konzept verwoben werden.

Das Verhältnis der Begriffe „Medienfassade” und „Medienarchitektur”, ist nicht wesentlich anders als das von „Fassade” und „Architektur”. Fassade verweist auf Oberfläche und alle Funktionen, die einer Oberfläche zukommen: Schutz, Klimatisierung, Repräsentation usw.. Architektur hingegen ist wesentlich offener und spricht die ganze Bandbreite und Tiefe von räumlichen Strukturen und Raumfunktionen an. Oft wird der Begriff auch darüber hinaus sogar für nicht-räumliche Strukturen verwendet – siehe „Software-Architekturen”.

Permanent / Temporär

Eng verbunden mit der Frage der Integration ist die Frage nach der Dauerhaftigkeit einer Medienfassadeninstallation. Im Allgemeinen sollte man meinen, dass permanente Installationen zu besseren Resultaten führen, weil in der Regel mehr Planung und Geld aufgewandt wird. In der Praxis gibt es aber viele Ausnahmen von dieser Regel: Die überzeugendste von allen ist Blinkenlights, aber auch viele Showfassaden für Konzerte und Events sind durchaus gelungen. (z.B. Asian Games), Nicht zu vergessen sind dabei natürlich auch gelungene Installationen mit künstlerischem Inhalt (wie SPOTS).

Dimensionalität

Ein weiterer Teilaspekt von „Integration” ist Dimensionalität. Da Gebäude in der Regel nicht nur flache Strukturen darstellen, sondern räumlich sind, ist es nahe liegend, dass auch Medienfassaden räumlich wirken sollen. Nur in seltenen Ausnahmefällen wird es möglich und sinnvoll sein, dass ein Display den gesamten dreidimensionalen Raum eines Gebäudes ausfüllt, denn das könnte leicht zu Problemen mit den Nutzern führen; Natürlich gibt es bereits zahlreiche Konzepte welche die Raumbeleuchtung eines Gebäudes in die Bespielung einbeziehen. Für jene Zeit zu der keine Nutzer im Haus sind, werden damit auch Bespielungen in die Tiefe des Gebäudes hinein möglich. – Die Bespielung ist damit allerdings zeitlich auf ein paar Tage im Jahr und einige wenige Stunden am Tag beschränkt.

Viel gebräuchlicher sind daher bislang „2.5 D” Bespielungen. Mit 2,5 D ist gemeint dass sich Medienfassaden nicht auf eine Ebene beschränken, sondern um Gebäudekanten fließen (Galleria) bzw. sich auf sphärischen Oberflächen erstrecken. (UNIQA und Grand Lisboa). Auf diese Weise sind Rundumbespielungen und effektvolle räumliche Wirkungen möglich.

Ein gutes Beispiel für ein echtes dreidimensionales Display ist die Nova Installation im Züricher Hauptbahnhof.

Durchlicht / Durchsicht (Transparenz / Transluzenz)

Es gibt mehrere Punkte bei denen Medienfassaden mit den übrigen Gebäudefunktionen in Konflikt geraten können. Die wichtigsten drehen sich um Licht und Energie (Energie siehe “Nachhaltigkeit”). Beim Licht geht es vor allem darum, dass die Komponenten einer Medienfassade Teile der Gebäudeoberfläche bedecken. Manchmal kommt zuwenig Tageslicht manchmal sogar gar keines mehr ins Gebäudeinnere wodurch beispielsweise die Nutzung der dahinter liegenden Räumlichkeiten als Büro nicht mehr möglich ist. Aus diesem Grund sind verschiedene Ansätze entwickelt worden, um die Licht emittierenden Teile zu minimieren und ihre Leuchtkraft zu maximieren. Die Eigenschaften von LEDs kommen diesen Zielen am besten entgegen. Sie werden zunehmend in Fassadenkomponenten wie Fassadendeckkappen oder Sonnenschutzlamellen integriert, sodass sie nur mehr einen geringen Teil des Tageslichts wegnehmen. Zum Teil sind die Nutzer eines Gebäudes von der Medienfassade völlig unbeeinträchtigt. Natürlich besteht auch in jenen Fällen wo die Leuchtpunkte in die Fassade integriert sind, ein logischer Konflikt zwischen dem Durchlichtverhalten und der Auflösung bzw. dem Pixelabstand. Um höhere Auflösungen zu erreichen bzw. um die Pixelabstände zwischen Pixelreihen oder Pixelzeilen zu verringern muss das Fassadenraster entsprechend geändert bzw. Sonnenschutzlamellen oder ähnliche Komponenten vor die Fassaden gesetzt werden, was notwendigerweise auf Kosten des Tageslichts geht. Gerade durch den Einsatz von vorgesetzten Komponenten, in welche Leuchtpunkte integriert werden, lassen sich aber Lösungen erzielen, die gleichermaßen eine hohe Bildqualität und eine hohe Nutzungsqualität aufweisen.

Aus der Sicht des Nutzers ist es nicht nur wichtig, dass er genug Tageslicht bekommt, sondern auch dass er ins Freie blicken kann; Eine Fassade kann ja durchaus transluzent sein aber nicht transparent wie z.B. im Fall des Chanel Gebäudes in Tokyo, wo man die Gebäudehaut als Diffusionsschicht verwendet hat. Es war hier offensichtlich ein Designziel die einzelnen Leuchtpunkte mithilfe von Privalite-Glas zu Leuchtflächen aufzulösen und dadurch weichere, „stoffähnlichere” Bildeeffekte zu erzeugen. Die großartige Bildwirkung geht allerdings auf Kosten der Nutzer weil diese während des Betriebs nicht ins Freie blicken können. Die Diffusionsschicht bewirkt darüber hinaus, dass ein Teil des Lichts als Streulicht ins Gebäudeinnere reflektiert wird. Deshalb wird eine Jalousie heruntergelassen sobald das Display in Betrieb ist. Auch dadurch wird die Raumqualität natürlich stark beeinträchtigt. Jalousien werden übrigens auch eingesetzt, um die Raumbeleuchtung aus dem Gebäudeinneren nach außen hin abzuschirmen, also beide „Lichtebenen” – die eine im Inneren und die andere auf der Medienfassade – von einander zu trennen.

Energieverbrauch – Nachhaltigkeit

In Zeiten steigenden Energieverbrauchs, der nicht nur zu hohen Preisen sondern auch zu Verteilungskonflikten führt, kann nicht verschwiegen werden, dass Medienfassaden Energie verbrauchen – zum Teil sogar sehr viel. Der Verbrauch orientiert sich am Wirkungsgrad der Leuchtmittel sowie an ihrer Anzahl und Helligkeit. LEDs haben zwar einen recht hohen Wirkungsgrad, aber wenn sie in einer hohen Anzahl verwendet werden, in manchen Projekten jenseits von einer Million Stück, dann summieren bzw quadrieren sich die Verbrauchswerte. Je heller, je größer die Gesamtfläche und je dichter die Pixel gepackt werden, umso höher ist der Energieverbrauch. Richtig heftig wird es, wenn man dem Sonnenlicht Konkurrenz machen möchte und Displays am Tag und bei direkter Sonneeinstrahlung betreibt. Diskussionen um die Sinnhaftigkeit solcher Bespielungen werden wohl nicht ausbleiben. Wie in anderen Fällen wird man wohl auch hier die Kosten mit den Nutzen vergleichen müssen wobei nicht nur das relevant sein sollte, was sich ein großes Unternehmen leisten kann, sondern auch das, was gesellschaftlich vertretbar ist. Da auch Energie im Wesentlichen ein Verteilungsproblem zu sein scheint, kann man nicht kategorisch sagen was in diesem Sinne vertretbar ist und was nicht. Wenn vor Ort genug Energie vorhanden ist, z.B. weil man die Sonnenkraft nutzt, dann wird man sich mit der Argumentation sicher leichter tun – wie z.B. im Falle von Greenpix. Allerdings darf nicht außer acht gelassen werden, dass nicht nur der Betrieb sondern auch andere Phasen des Lebenszyklus wie die Erzeugung eines Displays und seine Entsorgung in einer Ökobilanz zu berücksichtigen sind.

Medieninhalt und Gebäude

Hier geht es um die Frage, ob die Bespielung einer Fassade auf das Gebäude als räumliche Struktur bzw. auf die örtliche Umgebung eingeht. Auch hier handelt es sich um einen Punkt der mit der Integration von Display und Gebäude aufs Engste zusammenhängt. Selbst dann wenn es gelungen ist das Display nahtlos in die Fassade zu integrieren, heißt das noch lange nicht, dass es in einer Form bespielt wird, die einen Bezug zum Gebäude herstellt. Aus meiner Sicht ist auch dann noch lange kein Bezug vorhanden, wenn die Produkte oder das Logo des Gebäudeeigentümers in der Bespielung vorkommen. Solche inhaltlichen Bezüge machen teilweise schon Sinn, aber es sollte nicht nur die Corporate Identity des Unternehmens sondern natürlich auch die Gebäudeform berücksichtigt werden. In einem guten Gesamtkonzept sollten alle drei Komponenten – Identity, Architektur und Bespielung – im Vorhinein überlegt und aufeinander abgestimmt werden. Nicht wirklich zielführend erscheint es mir, wenn Medienfassaden auf Inhalte verweisen, die nichts mit dem Gebäude, seinem Nutzer und dem Ort an dem es steht zu tun haben, wie das leider oft bei schlechter Werbung der Fall ist. Wenn aber die oben erwähnten Komponenten ausgleichend berücksichtigt werden, kann sich nicht nur eine gelungene Medienarchitektur, sondern auch ein guter Werbeeffekt einstellen. Bei der Gestaltung und Evaluierung von Werbung auf Gebäuden wird gerne vergessen, dass sich der Wert nicht nur darin bemisst, wie viele Menschen eine Bespielung sehen, sondern auch, wie sie sich auf die Wahrnehmung des Gebäudes auswirkt. Wenn es etwa wie im Falle des UNIQA Gebäudes gelingt eine in sich abgestimmte Medienarchitektur ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, dann ist dem Eigentümer oft mehr gedient als wenn sein Logo permanent zu sehen ist. Das Gebäude wird zu einem Landmark, zu einem Teil der alltäglichen urbanen Wahrnehmung, an den man sich gewöhnt und den man nach einiger Zeit nicht mehr missen möchte. Der Nutzen den ein Gebäudeeigentümer (oder Mieter) aus einer Medienfassade ziehen kann besteht weniger in kurzfristigen Werbeeffekten, sondern in den langfristigen Bindungen und Identifikation, die zwischen dem bespielten Gebäude und den Passanten entstehen können. Dieser Wert ist nicht so leicht zu quantifizieren wie der von Werbeschaltungen, aber er ist trotzdem vorhanden und als sehr hoch einzuschätzen.

Zweifelsohne bedarf aber jede Form der Bespielung von Medienfassaden – egal ob für Werbezwecke oder rein künstlerische Bespielungen – sehr viel Fachwissen und Erfahrung, weil sie sich – wie wir oben gesehen haben, in vielen Merkmalen wie Auflösung, Pixelabständen, Helligkeiten usw. von gängigen Screenwirkungen unterscheiden und vom Gestalter sehr viel Sensibilität für Architektur und Stadtraum voraussetzen.

Interaktion

Das größte Potential für die Identifikation von Bewohnern mit Medienarchitekturen liegt in einer interaktiven Form der Bespielung. Bestens dokumentiert ist die Bespielung etwa von Blinkenlights in Berlin , wo den „Nutzern” verschiedene Möglichkeiten geboten wurden sich mit dem Gebäude bzw. mit anderen Bewohnern von Berlin in Verbindung zu setzen. Zum einen konnten selbst produzierte Filme an die Fassade geschickt werden, welche einfache Animationen oder Textnachrichten enthielten – besonders beliebt waren Liebesbotschaften. Zu anderen konnte man mittels eines Handyinterfaces sogar „Pong” spielen.

Im „Normalbetrieb” spiellte Blinkenlights autoaktiv eine vorgegebene Playlist von nutzergenerierten Animationen. Per Handy konnte man das Programm unterbrechen um entweder alleine oder zu zweit Pong zu spielen oder einen zuvor hochgeladenen Liebesbrief zu aktivieren. Durch die Eingabe eines Aktivierungsschlüssels per Handy konnte man die Wiedergabe zeitlich so steuern, dass die Botschaft perfekt zu einem romantischen Moment mit seiner Liebsten / seinem Liebsten passte. Es liegt auf der Hand, dass man durch solche sehr persönlichen Momente, in denen man weithin sichtbar die Hauptrolle auf der Medienfassade spielt, eine besonders intensive Form der Identifikation erreicht. Es sind einzigartige Erlebnisse, die man sehr lange in Erinnerung behält und die man ganz konkret mit einem bestimmten Ort verbindet. Was kann ein Gebäudeeigentümer mehr erwarten, als dass sich die Bewohner und Besucher einer Stadt mit seinem Gebäude persönlich verbunden fühlen?

Für die Bildung einer Community rund um Blinkenlights spielten die Website und der offene Zugang zur Software eine wichtige Rolle. Die Nutzer begriffen sich als Teil des Mediums, und verfügten über Werkzeuge, mit welchen man konkrete und aussagekräftige Botschaften erzeugen konnte. Sie wurden zu aktiven Produzenten von Medieninhalten und akzeptierten Blinkenlights somit als IHR Medium.

Ausblick

Das gewaltige Wachstum an nutzergenerierten Medien (Consumer Generated Media) im Web 2.0 und hier wiederum der Boom von sozialen Netzwerken wie MySpace und Facebook lassen vermuten, dass es ein gewaltiges Potential für Anwendungen gibt, die soziale Netzwerke rund um eine Medienarchitektur bilden und somit zu einer weiteren Durchdringung von physischen und virtuellen Räumen führen werden. Hier werden eigene Medienformate entstehen, welche seitens der Gestalter ein großes Maß an Interdisziplinarität voraussetzen und zu völlig neuartigen urbanen Erlebnissen führen können.

Natürlich können die Projekte dieser Ausstellung mit den oben dargestellten Merkmalen nicht erschöpfend beschrieben werden. Besonders die sozialen bzw. urbanen Aspekte von Medienarchitekturen bedürfen einer weitergehenden Beschäftigung und sie entziehen sich einer allzu technischen Beschreibung. Wir sind uns bewusst, dass auf diesem Gebiet noch viel zu tun ist, wofür eine Ausstellung möglicherweise auch nicht so geeignet ist wie ein breiter Diskurs von Akteuren und Experten. Wir hoffen dass es gelingt, dass dieser Diskurs auf eine breitere Basis gestellt werden kann und dass diese Ausstellung dafür geeignetes Anschauungsmaterial und Basiswissen zur Verfügung gestellt hat.

Quellen:

Alexander Wahl, Wandelbare (mediale)
Gebäudefassaden, 20.01.2002, 2008;
http://www.alexanderwahl.de/dateien/medienfassaden/medienfassaden.html
zuletzt geprüft: 5. Oktober 2008

Susanne Jaschko / Joachim Sauter, Mediale
Oberflächen – Mediatektur als integraler Bestandteil von Architektur und Identität stiftende Maßnahme im urbanen Raum, ublished in Arch+, Nr 180, Convertible City, Sept 2006, official exhibition catalogue of the German Pavillion at the 10th Bienale of Architecture in Venice, Italy.
http://www.sujaschko.de/downloads/256/Mediatektur
zuletzt geprüft: 5. Oktober 2008

Joachim Sauter, Das vierte Format: Die Fassade
als medialeHaut der Architektur; 2004,
http://netzspannung.org/cat/servlet/CatServlet/$files/273668/sauter.pdf,
zuletzt geprüft: 5. Oktober 2008

Andy Jörder, Improve Your City’s Appearance – Medienfassaden in urbanen Brennpunkten Diplomarbeit.
http://www.nd80.de/portfolio/pdf/IYCA_Screen.pdf,
zuletzt geprüft: 5. Oktober 2008

Ava Fatah Gen. Schieck, Media Screens – Urban Environments as a Medium of Communication, Mediamatic May 2007,
http://www.slideshare.net/revi.kornmann/media-screens/
zuletzt geprüft: 5. Oktober 2008.

Lucy Bullivant, 4dsocial: Interactive Design Environments, Wiley 2007

Lucy Bullivant, Responsive Environments:
Architecture, Art and Design, Victoria & Albert Museum 2006

Ag4, ag4-mediafacades, Daab 2006

Medienarchitektur, Arch+ 149 150,

http:www.Mediaarchitecture.org